Ein Segen: die Stimmführung
Nachdem du nun viel über Akkorde bis hin zur 7stimmigkeit kennen gelernt hast, fragst du dich vielleicht, wie man dieses System nun mit überschaubarem Aufwand verinnerlichen kann. Keine Sorge, so schlimm ist das nicht.
In der Musiktheorie geht man bei der Mehrstimmigkeit immer von unten (also vom Grundton) aus. In der Praxis verhält es sich aber genau anders.
Aller Ausgangspunkt der Musik ist eine Melodie. Diese wird nun eigentlich von oben ausgehend nach unten mit Akkordtönen aufgefüllt. Das hat nicht nur physiologische Gründe: Man hört von mehreren Tönen meistens den obersten Ton am besten heraus.
Wenn man nun z.B. den Melodieton g mit einen C-Dur Dreiklang (g e c) nach unten erweitert (also eine Terz tiefer) das a mitspielt, erhält man frei Haus einen Am7-Vierklang (a c e g). Als alternative Schreibweise wäre dafür auch C/A möglich (C-Dur mit A im Bass).
Noch einmal erweitert mit f wird es der F7j9-Fünfklang (f a c e g).
Und das soll einfacher sein? Nö. Egal ob auf- oder abwärts gezählt, es bleiben ja z.B. bei jedem 13erAkkord schlimmstenfalls 7 Töne, die irgendwie mental verarbeitet werden müssen.
Aber wenn nun Akkordverbindungen ins Spiel kommen, dann reduziert sich der Aufwand zum Teil erheblich. Betrachten wie mal folgende Akkordfolge:
Dann haben wir mit Basstönen 3x5 Töne für die Dur7j-Akkorde plus 8 Töne von G13 = 23 Töne. Schauen wir uns das nun mal aus Sicht der Stimmführung an:
Wenn wir von C7j ausgehen (5 Infos) und uns dann die Veränderungen zu F7j anschauen, bleiben nur noch 3 Infos statt 5 Tönen. Wenn man die beiden unteren Töne im oberen System als eine Info (Terz) zusammenfasst, reduziert es sich sogar noch einmal auf nur 2 Infos.
Noch drastischer wird es nun von F7j nach G13. Eigentlich hätten wir hier ja (theoretisch) 8 Töne berücksichtigen müssen. Praktisch ändert sich aber sogar nur ein Ton im Bass.
Bei einem G13-Akkord (g b d f a c e) spielt man seltenst alle 7 Töne. Klangcharakteristisch sind meist nur die obersten Töne, so dass Terz und Quinte weggelassen werden können. Die (reine) Quinte hat klanglich fast überhaupt kein Gewicht, während die Terz evtl. anstelle des c als b gespielt werden könnte.
Wenn wir zum Schluss auch von G13 nach C7j die beiden unteren Töne im oberen System wieder als eine Info auffassen bleiben auch hier nur 2 Infos. Wer sich jetzt noch erinnert mit C7j begonnen zu haben, dem reicht vielleicht sogar nur diese eine Info.
Summa summarum verbleiben also im besten Fall 9 Infos anstelle von 23 Tönen! Deutlich weniger als die Hälfte. Und dieses Beispiel war nur ein kurzes.
Man kann konstatieren, dass sich Tonalität und Stimmführung etwa die Waage halten. Je komplizierter das Eine umso entspannter das Andere.
Im Grunde genommen funktioniert Stimmführung nach den gleichen Prinzipien wie digitale Datenkomprimierung. Ein Video speichert unkomprimiert riesige Datenmengen (4k = 3.840 x 2.160 Pixel x 1.045.876 Farben x 25 Frames = 216.872.847.360.000) – also rund unglaubliche 217 Billionen Infos pro Sekunde – ab, was dem Prizinp der Tonalität (quasi vertikal) einzelner Töne entspricht. Während alte Videoformate (avi) genau diese Menge verarbeiten mussten, ist das heutige mp4-Format weit weniger hungrig. Wie das geht? Ganz einfach: Es werden nur noch die Veränderungen von Bild zu Bild protokolliert, während gleich bleibende Infos keinen Platz mehr beanspruchen. Kann man sich gut vorstellen bei einem Gespräch von Personen vor einem statischen Hintergrund. Analog dazu die (quasi horizontale um 90° gedrehte) Stimmführung.
Darf es noch ein weiteres Beispiel für Stimmführung geben, dann rücke vor zur nächsten Lektion.